Zum Inhalt springen

Andrej Tarkowskij und die Kunst der Ikonen

September 29, 2014

Es ist schon vielfach darauf hingewiesen worden, dass in den Filmen des 1986 im Alter von 54 Jahren verstorbenen russischen Regisseurs Andrej Tarkowskij eine Auffassung des Bildes lebendig ist, die an die Ikonen denken lässt.1 Das hier angestrebte Unterfangen ist vergleichsweise bescheiden: es sollen direkte und indirekte Beziehungen Tarkowskijs zur Kunst der Ikonen aufgewiesen werden, ohne wie Söderbergh Widding und Nardin der schwierigen Frage nach der Bildauffassung Tarkowskijs in Beziehung zur Ikone nachzugehen.

Iwans Kindheit (1962)

Der Film erzählt die Geschichte eines russischen Jungen, der im Krieg zwischen der Roten Armee und der deutschen Wehrmacht als Spion hinter den feindlichen Linien operiert. Die beiden feindlichen Armeen liegen sich an den Ufern eines Flusses gegenüber. Im Film kommt es zu heftigem Artilleriebeschuss durch die Deutschen und unter dem Einschlag der Granaten werden plötzlich – wie Anrufungen – Symbole des in Schutt und Asche liegenden christlichen Glaubens sichtbar: ein metallenes Kreuz, wohl von einem Friedhof, und am Gemäuer einer zerstörten kleinen Kirche die Fresko-Ikone einer Maria mit dem Kind. Sowohl das Kreuz als auch das Bild erscheinen zweimal: erst blitzartig während des Artillerieangriffs und dann wenig später etwas länger. Das schief stehende Kreuz wird von der hoch geschleuderten Erde verhüllt und verdunkelt. Als es wieder ins Bild kommt, scheint die Morgensonne durch den zentralen Kreis des schmiedeeisernen Kreuzes. (Ansonsten scheint die Sonne nur in den gelegentlich eingeblendeten, von Licht durchfluteten Träumen und Erinnerungen Iwans.) Die Ikone wabert zuerst unter der Hitzeeinwirkung des Feuers. Beim zweiten Mal sehen wir sie nächtens im Schein eines links wild flackernden Türpfostens: mit tief verschatteten Augen und schwermütigem Blick. Dazwischen zündet Hauptmann Cholin sich eine Zigarette an – obwohl Iwan ihn inständig vor dem Rauchen gewarnt hat – und würdigt das Bild keines Blicks. (Schon in seinem ersten, wie auch in seinen beiden letzten Filmen warnte der an Lungenkrebs gestorbene starke Raucher Tarkowskij vor dem Nikotin.)

In einem bald nach dem Film in der Sowjetunion entstandenen Interview, meinte der Regisseur bedauernd, der Gegensatz Kirche-Krieg sei schon zu abgedroschen2. Man weiß nicht, ob man das als bare Münze nehmen soll, oder ob Tarkowskij, für den immer eine paradoxe Mischung aus rückhaltloser Ehrlichkeit und listenreicher Geheimnistuerei charakteristisch war, den Argwohn der Hüter der reinen Lehre zerstreuen wollte.

Andrej Rubljow (1966)

Als nächstes wurde Tarkowskij die ehrenvolle Aufgabe zuteil einen Film über den berühmtesten Ikonenmaler des alten Russland, Andrej Rubljow, zu schaffen. (Das Drehbuch hat er zusammen mit dem bald in die USA emigrierten Regisseur Andron Michalkow-Kontschalowskij geschrieben.) Auch dieser Film ist wie Iwans Kindheit noch vollständig in Schwarzweiß gedreht bis auf das letzte Segment, das die Ikonen Rubljows vorstellt und die wunderbaren Farben dieser Malerei zeigt. In dem dreistündigen Film zuvor ist kaum je eine Ikone zu sehen. Es gibt einige wenige Ausnahmen. Der jüngere Bruder des Großfürsten von Wladimir hat aufgrund einer nie verwundenen Demütigung durch seinen älteren Bruder die Stadt an die Mongolen verraten. Der Anführer der Mongolen schaut sich hoch zu Ross in der Hauptkirche Wladimirs um, in der sich zuvor das Volk eingeschlossen hatte, das dann von Mongolen und den russischen Schergen des Verräters routiniert niedergemacht worden war. Er sieht an der Wand eine Darstellung der Geburt Christi und fragt den Bruder des Großfürsten, wer diese Frau sei. „Das ist die Jungfrau Maria.“ „Und wer ist das Kind in dem Kasten?“ „Das ist ihr Sohn.“ Also doch keine Jungfrau.“ grinst der Mongole breit und meint dann nachdenklich: „Aber bei euch in Russland gibt es ja noch ganz andere Sachen – erstaunlich.“ Der Gesprächszusammenhang suggeriert, er denkt dabei daran, dass ein Russe aus Bruderhass eine ganze Stadt der Vernichtung preisgibt. Kurz zuvor hatte er den Russen ebenso einfühlsam wie höhnisch gefragt: „Na, tut es dir nicht leid um die Kathedrale?“

Der Film scheint eine Beziehung zu behaupten zwischen fehlender christlicher Praxis (Wo ist die berühmte christliche „Bruderliebe“?) und der dürftigen Glaubwürdigkeit der Lehre. – Hatte nicht der Stifter der christlichen Religion gebetet: „Alle sollen eins sein. Wie du Vater in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast.“(Joh 17,21)? Dem zufolge gilt: Solange die Christen uneins sind, müssen sie sich nicht wundern, wenn die Welt ihnen nicht glaubt.

Wenig später wird in der Kathedrale einem gefesselten Kirchendiener der Bart abgesengt, weil er das Versteck des Kirchenschatzes verraten soll. Als er in seiner Qual Gottes Hilfe anruft, kommt ruhig, lakonisch, ohne Emphase eine bekannte Ikone ins Bild: ein großer, thronender „Pantokrator“(Allherrscher). Hier wird beiläufig das Schweigen Gottes, seine scheinbare Ohnmacht konstatiert. (Man darf nicht vergessen, dass der Regisseur den staatstragenden Atheismus hofieren musste.) Dazu passt, dass der Regisseur die Eroberung Wladimirs mit einem epischen Gleichmut zeigt, der mich unerhört fasziniert, weil er so wohltuend unamerikanisch ist3. Wer konnte hat sich, wie gesagt, in der Kathedrale verbarrikadiert. Das Volk hat seine ergreifenden, inbrünstigen Gesänge angestimmt. Derweil hantieren die Mongolen draußen vor dem Portal der Kirche gut gelaunt und routiniert mit einem gewaltigen Rammbock: „Hauruck! Hauruck!“ Ihr Anführer hoch zu Ross, der sein Pferd mit einem liturgischen Gewand geschmückt hat, wartet beinahe gelangweilt ab; im Gegenschnitt sehen wir in der überfüllten Kathedrale Männer wie Frauen hilflos stammeln und flehentlich emporblicken: „Gospodi, Gospodi!“ (Die Nahaufnahme einer alten Frau mit wunderbar sanften und dunklen Augen haftet im Gedächtnis: fast wie Nelly Sachs, nur furchtsam und erschrocken.) Dann ist es endlich so weit: das Tor gibt nach, das Schicksal nimmt seinen Lauf, und weit und breit ist kein „happy ending“ in Sicht.

Später werden wir in der gleichen Kirche Zeugen eines Gesprächs zwischen Andrej Rubljow und dem älteren Meister Feofan Grek, Theophanes dem Griechen. Schon die vorherige Begegnung der beiden Maler in einem Wald war etwas mysteriös, der große griechische Ikonenmaler war wie aus dem Nichts plötzlich aufgetaucht. Hier in der Kirche ist es eindeutig der Geist des älteren Malers, der dem Rubljow erscheint4. Er blättert in einem an den Rändern verbrannten liturgischen Buch, vielleicht der Bibel. Das kann man auch als Bild für die missliche Lage lesen, in der sich Tarkowskij &Co befanden, als sie begannen für diesen Film nach Spuren von Russlands christlicher Vergangenheit zu suchen und versuchten aus den Überresten schlau zu werden, nach allem, was dem im früheren 20.Jahrhundert in diesem Land an Morden und Brennen vorausgegangen war.

Die nachfolgende Unterredung der beiden Künstler ist inhaltsreich und steckt voller interessanter Bezüge. Aber nolens volens muss man hier das Feld wohl den Slawisten überlassen. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Dialogen in diesem Film hat meines Wissens noch nicht einmal begonnen.

Der offenbar blutbespritzte Jüngere schleudert dem weisen Greisen aus dem Jenseits seine ganze Verzweiflung hin. Er sieht keinen Sinn mehr im Leben, schon gar nicht im Malen. Er hat den Glauben an die Menschheit verloren, insbesondere an die russische. Feofan Grek hingegen kann sogar darüber lachen, als er erzählt, wie viele von seinen Werken überall in Russland verbrannt worden sind. Die asymmetrische, unvollständige Kommunikation der beiden Männer findet eine bildhafte Entsprechung: auf einem Türflügel der Ikonostase sieht man den Engel der Verkündigung, wie er auf Maria einredet. Der andere Flügel, die Seite Marias, des sichtbaren, irdischen Geschöpfes, ist verkohlt. So wie eben in dieser Kirche fast alles Leben hingemetzelt wurde. Rubljow hat bei diesem Gemetzel, um die schwachsinnige Durochka vor einer Vergewaltigung zu bewahren, einen Landsmann mit der Axt erschlagen. Zur Buße will er fortan schweigen und nicht mehr malen. Der Grieche zitiert darauf eine wunderbare Stelle aus Jesaja: „Kommt her, wir wollen rechten, spricht der Herr. Wären eure Sünden rot wie Scharlach, sie sollen weiß werden wie Schnee!“ (Jes 1,18) Beim Anblick einer der wenigen anderen Ikonen in der Kirche, die nicht bis zur Unkenntlichkeit verkohlt sind, ruft er begeistert aus: „Und doch gibt es Dinge, die einfach schön sind!“ Ein solcher Ausbruch des Entzückens macht fast betroffen bei einem Mann, den wir bisher als eher reizbar und überaus herb erlebt haben. Es ist eine Ikone des Typs Mariä Schutz und Fürbitte (Pokrov).5 In seiner Freude hat er die Arme genauso erhoben wie Maria. Sie hält in den im Orantengestus leicht angehobenen Armen ein Tuch vor sich ausgebreitet. Pokrov heißt Schleier oder eben auch Schutz. Meistens ist dieses Tuch rot, hier ist es weiß. Dann schweben einige einsam pilgernde Schneeflocken vorbei: das Dach der Kathedrale ist verbrannt und eingestürzt. Andrej blickt auf und murmelt: „Es gibt nichts Furchtbareres, als wenn es schneit in einer Kirche.“ Konfrontiert mit dieser Situation nicht in einem wohltemperierten Wohnzimmer oder Kinosaal, sondern in der harten Wirklichkeit des russischen Winteranbruchs, wird man diese Aussage nur zu begreiflich finden. Wenn sogar das Gotteshaus, die letzte Zuflucht, zerstört und niedergebrannt ist, wie wird es dann erst um die anderen Häuser stehen? Dennoch meine ich, dass wir diese Aussage „dialektisch“6 verstehen sollten. Sie soll auch Widerspruch wecken. Inmitten all dieser Schrecknisse – der Boden der Kirche ist mit Leichen übersät – haben die federleichten Schneeflocken etwas Poetisches. Die beiden Männer blicken zum offenen Dach hinauf. In der Kirche in Konstantinopel, die am Ursprung des Festes Pokrov im 10. Jahrhundert steht, sahen der hl. Andreas, der „Narr in Christo“, und als einziger Zeuge ein gewisser Johannes das Kirchengewölbe offen7. Wem genügend Einbildungskraft zu Gebote steht, dem verknüpfen sich die wenigen ersten Flocken (am Fest Pokrov war im alten Russland der Winterbeginn) mit dem weißen Schleier Marias und dem Wort bei Jesaja. Was mich hier fasziniert ist die Glaubenskraft. Wo war denn kurz zuvor der berühmte, blütenweiße Schutz? Unter Umständen, in denen man annehmen sollte, dass einem das Glauben gründlich vergeht, regt es sich hier wieder leise. Andererseits ist das bei Licht besehen doch gar nicht so verwunderlich. „Gestorben muß seyn“- wusste schon der alte Abraham a Sancta Clara. Das ist eine unabweisbare Wahrheit gegen die man sich nur allenthalben, besonders in unseren Breiten, wie von Sinnen wehrt. Freilich können, wie man hier gerade gesehen hat, die Umstände des Sterbens sehr unterschiedlich komfortabel sein. Aber was bedeutet das „sub specie aeternitatis“? Hier setzt die Zuflucht zum Schutzmantel ein – es geht um das ewige Heil: „Kommt her, wir wollen rechten, spricht der Herr. Wären eure Sünden rot wie Scharlach, sie sollen weiß werden wie Schnee!“

Im letzten Segment des Schwarz-Weiß-Films über den jungen Glockengießer Boriska und das Gießen einer riesigen Glocke taucht zwar keine Ikone auf, aber ein sehr verbreitetes Ikonenmotiv: auf der Glocke ist als Relief das sogenannte Schlangenwunder des hl. Georg, der Sieg des Guten über das Böse zu sehen. Ganz kurz war Andrej Rubljow lange zuvor im Palast des Großfürsten beim Betrachten einer nicht sehr großen Ikone des gleichen Typus gezeigt worden8. –

Als die Glocke endlich läutet, weicht eine unerträgliche Anspannung von Boriska. Etwas abseits an einem Feuer ist er zusammengebrochen, krümmt sich am Boden um einen phallischen Pfahl und schluchzt haltlos. Andrej Rubljow, der stumm die ganze Zeit den zähen Kampf des Halbwüchsigen mit einer Aufgabe, die schlicht eine Überforderung war, beobachtet hat, findet seine Stimme wieder, buchstäblich und als Künstler. Fast mütterlich nimmt er den Jungen in die Arme und tröstet ihn: „Wein doch nicht. Du hast den Menschen heute eine große Freude bereitet. Wir werden gemeinsam durch Russland ziehen. Du wirst Glocken gießen und ich werde Ikonen malen.“ Hier stellt Tarkowskij eine Beziehung zur so genannten siebten Kunst her, dem Film, der in der Hauptsache audio-visuell ist. Der Regisseur hat als Halbwüchsiger sowohl Malunterricht als auch Klavierunterricht von seiner allein erziehenden Mutter finanziert bekommen. Beide Künste genügten ihm nicht. Im Film fand er dann beide wieder und mehr.-

Die Kamera filmt die Glut des verlöschenden Feuers, dann kommt der Wechsel zum Farbfilm und Nahaufnahmen der Rubljow-Ikonen werden gezeigt.

Wir erkennen zunächst keine Bilder, sondern nur Einzelheiten, abstrakt-geometrisch, den Farbauftrag. Dann sehen wir vertraute Ikonenszenen, Details der berühmten Dreifaltigkeits-Ikone, schließlich die ganze Ikone. Die einzelnen Segmente wirkten zunächst unverbunden und unverständlich und schließen sich erst am Schluss zu einer Einheit zusammen. Damit wird die Montage der Aufnahmen zu den Ikonen zu einem Bild des ganzen Films. Nach der Dreifaltigkeit erscheint noch die berühmte Christusikone, an der der Zahn der Zeit seine Spuren hinterlassen hat. Die Musik von Wjatscheslaw Owtschinnikow mit ihrem Wechsel von sehr eigenwilligem Chorgesang und Stille ist verstummt. (Kurioserweise war diese Musik ursprünglich für die Szenerie am Ende der Schlacht auf dem Kulikowo-Feld komponiert worden, die dann aber aus Kostengründen nie gefilmt worden ist9. Die Neuverwendung der Musik war von Tarkowskij eigenmächtig entschieden worden und führte zum Zerwürfnis mit Owtschinnikow.) Ein Gewitter kündigt sich in der Ferne an, Regen plätschert, Tropfen fallen auch auf das Holz der Ikone. Sacht wird so das wechselvolle Schicksal dieser Ikone angedeutet, die für Jahrhunderte verschollen war und als Planke einer Türschwelle in einer Hütte bei Swenigorod gedient haben soll, wo sie 1919 zufällig entdeckt worden ist. Für mich ist es eine der majestätischsten Christusdarstellungen überhaupt, die nebenbei auch den asiatischen Einschlag in der russischen Geschichte reflektiert. Die gewaltigen, „pneumatischen“ Formen des Haupthaars, der viel zu kleine Mund, die vorspringenden mongolischen Backenknochen, die asiatischen Augen, und nicht zuletzt der auf den ersten Blick abweisende und bei näherem Hinsehen immer innigere Ausdruck: auch in dieser Hinsicht ist sie der Kunst Tarkowskijs verwandt.

Andrej Rubljow, Erlöser, Staatliche Tretjakow Galerie, Moskau, vermutlich erstes Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts, 1,58 x 1,08 m (http://www.icon-art.info/)

Solaris (1972)

Wie Klaus Kreimeier bemerkte10 wird in der Raumstations-Kabine des Psychologen Kris Kelvin nur scheinbar beiläufig eine kleine Reproduktion der Dreifaltigkeits-Ikone von Andrej Rubljow gezeigt. Es wird zunächst kurz die Musik Owtschinnikows eingespielt, die das Erscheinen der Troiza am Ende des Rubljow-Films begleitet. Kris steht in tiefes Nachdenken versunken vor der halb verdeckten Ikonenreproduktion; oder betet er?

Aber ansonsten Ikonen in Solaris? Bei einigem Nachdenken kommt ein Bild mit der zur Drehzeit des Films (Sommer bis Winter 1971) etwa zwanzigjährigen Olga Barnet in den Sinn. In dem Film, den Kris von der Erde mitgebracht hat, steht sie mit einer Zigarette im Mundwinkel und einem jungen Hund von der eher hässlichen Art auf dem Arm in einer winterlichen Landschaft: eine (wiederum „dialektisch“) entstellte Marien-Ikone. Es spricht für die Kraft der Suggestion von Tarkowskijs Film, dass er uns glauben machen kann, diese 20-jährige Frau könne die Mutter des Psychologen sein. Sie verhält sich mütterlich zu ihm und wäscht ihm in seiner Fiebervision die schmutzigen Hände. Tarkowskij sah diese Sequenz ausdrücklich als eine der besten des Films an11 und hat das Motiv in seinem letzten Film Opfer(1986) variiert.

Hari ist die vom Solaris-Ozean verursachte Verkörperung der Frau von Kris, die sich aus Verzweiflung umgebracht hat, weil sie sich von ihm nicht geliebt fühlte (Natascha Bondartschuk im Alter von 21 Jahren, Tochter von Tarkowskijs späteren Intimfeind Sergej Bondartschuk). Sie ist ein Bild der „alten Eva“, und ihre Abhängigkeit vom Mann wird im Film eindrucksvoll gezeigt. Sie trägt ein aus braunen Lederstücken zusammengenähtes Kleid, das von fern an den zusammengestoppelten Ballon aus dem „Prolog“ von Andrej Rubljow erinnert12 vor allem wenn man es in einer Synthese zusammen sieht mit einem gestrickten Umhang, der dazu passend ebenfalls in drei Tönen: dunkelbraun, rostbraun und hell-beige gehalten ist.

Die dunkelblonde, langhaarige Olga Barnet trägt ein aus großen weißen und rosa Rosenmotiven gestricktes Kleid. Zweifellos ist auch sie eine sehr schöne Frau, aber mehr noch als schön ist ihr Gesicht apart und melancholisch zu nennen. Sie steht für die neue Eva: Maria. Eine Einsicht, zu der der Regisseur den Zugang durch die erwähnte Entstellung verstellen musste.

Der Spiegel (1975)

In diesem Film erscheint ein Film-Poster zu Andrej Rubljow in der Moskauer Wohnung des Regisseurs, das die Dreifaltigkeits-Ikone zeigt. Darüber, ob das eine künstlerische Funktion erfüllt, kann man nur mutmaßen. Nach dem Film über Andrej Rubljow wurde überall gemunkelt, Tarkowskij sei ein „Heiliger“13. In dieser Szene zeigt er, dass er zumindest ein etwas seltsamer „Heiliger“ ist, der durch einen Anruf seiner Mutter um sechs Uhr abends geweckt wird und glaubt es sei sieben Uhr morgens. Zu seiner Entschuldigung lässt sich sagen, dass er seit ein paar Tagen etwas krank ist und an Angina leidet. Er hat sich vorgenommen, einige Tage zu schweigen14.

Stalker (1979)

In seinem letzten in der Sowjetunion realisierten Film geht es um die Expedition eines „Stalkers“, eine Art Seelenführers, in eine verbotene Zone. Er begleitet zwei Männer, die nur als „Professor“ und „Schriftsteller“ vorgestellt werden. Die Geschichte knüpft lose an eine Science-Fiction-Erzählung der Brüder Boris und Arkadij Strugatzkij: Picknick am Wegesrand an. Im Inneren der Zone soll es einen Raum geben, in dem die tiefsten Wünsche eines Menschen in Erfüllung gehen. Aber der Zugang zur Zone ist abgesperrt und als sie schließlich hineingelangen erweist sich die Orientierung als alles andere als einfach. Als der Schriftsteller sich auf dem kürzesten Weg zu dem geheimnisvollen Raum begeben will, wird er von einer Stimme aufgehalten. In der Zone lauern viele Gefahren, erfahren wir vom Stalker, und der kürzeste Weg sei nicht der richtige. Nicht ob jemand gut oder böse sei entscheide über das Fortkommen in der Zone als vielmehr, ob jemand ohne Hoffnung sei. Auf dem Weg durch einen langen Tunnel, „Fleischwolf“ genannt, bei dem der erbärmlichste der Drei, der zynische Schriftsteller den Weg bahnt, gelangen die drei Männer schließlich bis vor den Raum. Hier stellt sich heraus, dass der Professor eine Bombe mitgebracht hat, mit der er diesen Raum zerstören will. Es kommt zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen den Männern: der Stalker versucht dem Professor die Bombe zu entreißen, er wird vom Schriftsteller zu Boden gestoßen. Nach einigem Hin und Her beruhigen sie sich, und der Professor lässt von seinem Vorhaben ab. Aber die Männer gehen nicht in den Raum hinein. Sie bleiben vor seiner Schwelle sitzen und in einer langen Einstellung realisiert Tarkowskij eine Anspielung auf die Dreifaltigkeitsikone von Rubljow: Die drei Männer bilden gewissermaßen eine nicht vollzogene Dreifaltigkeit, denn der Stalker und der Schriftsteller haben sich einträchtig beieinander hingesetzt, aber der Professor wendet ihnen im Sitzen den Rücken zu. So sitzen sie im Mittelgrund und schauen dem Schauspiel innerhalb des Raumes vorne zu, wo in einer großen Wasserlache herab fallender Sprühregen als wunderbares Lichtphänomen sichtbar wird. Sie lauschen in der Stille einer minimalistischen Tropfenmusik. Der Professor wirft Teile der auseinandergenommenen Bombe wie fragend in die Wasserlache und die „antwortet“ mit Lichtkreisen. Vorübergehend wird die triste Höhle in goldenes Licht getaucht15. Ein schmaler Schlitz in ihrer Rückwand könnte für die „enge Pforte“ stehen, die die drei auf ihrem Weg zu diesem Raum schon passiert haben (der „Fleischwolf“). Der Schritt in den Raum hinein wird gleichgesetzt mit der Zuwendung zueinander, das wäre dann die Dreifaltigkeitsikone, aber dieser letzte Schritt wird nicht vollzogen.

Nostalghia (1983)

Auch im 1983 in Italien fertig gestellten Film Nostalghia gibt es nur vereinzelte Hinweise auf Ikonen, umso zahlreicher sind die Einflüsse westlicher Kunst. Es wird eine Szene in Schwarzweiß als Erinnerung eingeblendet, die die Befreiung von Domenicos Familie zeigt, nachdem er sie sieben Jahre lang in völliger Isolation gehalten hatte, um sie vor der bösen Welt zu schützen. Die Frau Domenicos (Tarkowskij hat für diese winzige Rolle, Delia Boccardo, eine bekannte italienische Schauspielerin verpflichtet) umarmt wild schluchzend in niedersinkender Bewegung Leib und Beine eines Polizisten um dann in einer Art Proskynese zu Boden zu stürzen und in Dankbarkeit dessen stiefelbewehrte Füße zu umklammern. Daneben entleert sich eine umgekippte Milchflasche. Es handelt sich um ein rätselhaftes, widersprüchliches Bild. Bei einer Grablegungsikone aus dem Rubljow-Umkreis umarmt die Mutter das Haupt des Toten, während eine untergeordnete, bärtige, männliche Figur ohne Nimbus, vielleicht Josef von Arimathäa, dem Toten die Füße küsst. (Dreifaltigkeits-Kathedrale in der Sergij-Dreifaltigkeitslavra, 1425–1427) Im Film Andrej Rubljow umarmt bei der Kreuzigung eine schöne Frau mit langem, blondem Haar weinend die Füße des auf dem Kreuz liegenden Christus. Als ein fester Bestandteil einer Ikone begegnet das Motiv bei der Auferweckung des Lazarus. Maria und Martha umarmen die Füße des rettenden Christus Was aber die Übertragung auf einen Polizeibeamten als einem christusgleichen Retter soll? Ob sie einfach Widerspruch erregen soll? Tarkowskij hat, wie gesagt16, von der Bedeutung der Dialektik bei der Herstellung seiner Bilder gesprochen. Wenn man bedenkt, dass er aus einem Polizeistaat kam, kann man in diesem Bild nur eine abgründige Ironie erblicken. Dass die weiße Milch unwiederbringlich aus der Flasche fließt, ist aber andererseits auch ein Hinweis auf den Verlust von Reinheit. Wieder einmal zeigt sich, dass sich die Bilder Tarkowskijs nicht einfach auflösen lassen.

Ein weiterer Verweis auf die Welt der Ikonen ist vielleicht die vermutlich geträumte Szene als der Russe Gortschakow auf einer wie ausgestorbenen Straße in einem Städtchen irgendwo in Italien geht. Durch die Sepiatönung wirkt die Szene düster, alle Fenster sind verrammelt, die Straße ist etwas übertrieben mit Müll übersät. So nimmt es auch nicht sehr wunder, dass er dort einem verlassenen Schrank begegnet (eine Ikonostase?). Das Folgende ist filmisch wundervoll gemacht: er öffnet langsam die Schranktür und im Spiegel darauf erblickt er nicht etwa sich selbst, sondern das Gesicht des verrückten Domenico mit kunstvoll gelocktem Haar. Dieser kunstvolle Lockenkopf erinnert an Ikonen – rätselhaft genug!

Vielleicht ist das ein Hinweis auf ein „Imago Christi“? Der Christusknabe trägt auf Ikonen Locken.

Während dieser Szene hören wir aus dem Off eine Männerstimme auf Russisch, die sich Vorwürfe macht, „jahrelang“ verbarrikadiert gelebt zu haben, unter Ausschluss des Sonnenlichts. Nun ist es Domenico, dem genau dies zum Vorwurf gemacht wird. Warum aber spricht der Mann russisch? Möglicherweise geht es nicht allein um die sieben Jahre, die Domenico seine Familie eingeschlossen hatte, um sie vor der verderbten Welt zu bewahren, sondern auch um die siebzig Jahre, die die Sowjetunion ihre Machtsphäre zu eben diesem Zwecke abschottete. Zwar wusste Tarkowskij 1982 noch nicht, dass das Sowjetimperium rund siebzig Jahre währen würde. Aber sagten wir nicht, dass Tarkowskij so etwas wie ein Prophet war? Wir werden Zeugen eines eigentümlichen spirituellen Kung Fu, den sich Tarkowskij in langen Jahren in der Sowjetunion angeknobelt hat. Hier beginnt er mit Bildern zu jonglieren, ein Hüter der öffentlichen Ordnung erscheint plötzlich in die Nähe zu Christus. Umgekehrt wird ein Provokateur wie Domenico, der aber in gewisser Hinsicht mit den sowjetischen Verhältnissen vergleichbar ist, auch mit Christus in Verbindung gebracht. Vielleicht werden wir so zu einer neuen Perspektive geführt, die etwas abseits der ausgetretenen Pfade jahrelanger Propaganda des kalten Krieges liegt.

Offret (1986)

In Offret(Opfer) bekommt der Protagonist Alexander zu seinem Geburtstag einen Kunstband mit Ikonenabbildungen geschenkt. Im Film blättert er das Buch durch und betrachtet tief beeindruckt die Ikonen. Ihn berühren die Tiefe und die Unschuld dieser Werke. Sie seien wie ein Gebet. „Heute können wir nicht mehr beten“. Später im Film, unter dem Eindruck eines plötzlich hereingebrochenen atomaren Konflikts, betet Alexander. Es versteht sich, dass der Film auch an dem Maß der von den Ikonen behaupteten „Unschuld“ gemessen werden muss.

Wenn man die Episode betrachtet, in der Alexander mit der sogenannten Hexe Maria schläft, wird man zugeben müssen, dass der Regisseur hier alles sorgfältig vermieden hat, was unmittelbar erotisch suggestiv wirken könnte. Stattdessen hat er mit der Levitation eine Metapher für diese „Hochzeit“ geschaffen, die mystisch erhebend aber nicht suggestiv wirkt. Wenn zuvor Maria Alexander sich die Hände waschen lässt, da er mit dem Fahrrad gestürzt ist und sich beschmutzt hat, so ist das ein Bild dafür, was die ganze Szene im Zuschauer bewirken soll. Alexander ist bei diesem ganzen Abenteuer des Fremdgehens so bejammernswert, dass es alles andere als eine Heldentat zu sein scheint, eher etwas, dessen man sich schämen müsste. Im Weiteren kann der Zweifel aufkommen, ob die ganze Episode vielleicht nicht nur geträumt war. Alexander erwacht auf der Couch in seinem Obergemach. Als er aufsteht, stößt er sich bös am Knie, weshalb er im Rest des Filmes hinkt. Das mag eine Anspielung auf die ausgerenkte Hüfte des Patriarchen Jakob sein, der nach seiner nächtlichen Begegnung mit dem Engel solcherart gezeichnet war17.

Die Dienerin Maria erscheint zuvor in einer Nahaufnahme des Kopfes mit einem schwarzen Kopftuch, auf dem als weißes Muster eine Art Silberdistel zu sehen ist. Das erinnert an die berühmteste Ikone der schwarzen Madonna, die Wladimirskaja, die nachweislich für Tarkowskij große emotionale Bedeutung hatte18, bei der das Kopftuch mit einem Stern geschmückt ist.

1 Zunächst muss auf die Dissertation der schwedischen Filmwissenschaftlerin Astrid Söderbergh Widding hingewiesen werden: „Gränsbilder Det dolda rummet hos Tarkovskij Grenzbilder der verborgene Raum bei Tarkowskij, Stockholm 1992, ferner die Untersuchungen von Massimo Nardin: Evocare l’inatteso. Lo sguardo trasfigurante nel cinema di Andrej Tarkovskij Das Unerwartete evozieren – Der verwandelnde Blick im Kino Andrej Tarkowskijs, Rom 2002

2 „Die Gegenüberstellung in der Art Kirche – Krieg, Tempel – Artilleriebeschuss ist schon zu abgedroschen.“

http://www.kinematographie.de/HEFT39.HTM#IK, Quellen zur Filmgeschichte ab 1920, Texte der Hefte des studentischen Filmclubs der Uni Frankfurt/Main: Filmstudio Heft 39, Mai-August 1963

3 Henry Kissinger, der einem alten Volk angehört, dem furchtbarste Schicksalsschläge im Laufe seiner langen Geschichte nicht erspart blieben und der deshalb potentiell zynisch denkt, bemerkte zu Amerika: “Nothing is more difficult for Americans to understand than the possibilities of disaster.” Zitiert nach: Thomas J. Noer, Henry Kissinger’s Philosophy of History, Modern Age, A Quarterly Review, published by ISI (Intercollegiate Studies Institute), Delaware, vol.19, n. 2, Spring 1975, S. 180-189, S. 186

4 Bekanntlich hat Boris Pasternak, der von Tarkowskijs Vater, dem Dichter Arsenij Tarkowskij, sehr verehrt wurde, dem Regisseur prophezeit, dass er nur sieben Filme schaffen werde, dafür aber sehr gute. Weniger bekannt sind die Umstände dieser Mitteilung: bei einer spiritistischen Séance! Das ist einer der Gründe, weshalb man dem Auteur in den offiziellen Kirchen bis auf weiteres mit Vorbehalten begegnen wird. Andrej Tarkowskij, Martyrolog. Tagebücher 1970-1986, Berlin 1992, 16. Februar 1973

5 Die Ikone stellt das vor allem in Russland bekannte und beliebte Fest Pokrov dar, das man mit Mariä Schutz und Fürbitte zu übersetzen pflegt. Der Festtag ist der 1. Oktober des alten Kalenders, der 14. Oktober des westlichen und das Thema des Bildes geht zurück auf eine Marienerscheinung in der Blachernen-Kirche in Konstantinopel, die der heilige Andreas, „der Narr in Christo“, sah und berichtet hat. Die Gottesmutter hielt während der Nachtmesse ihren Schleier über die betende Gemeinde.

6 In einem sehr langen Eintrag in seinem Tagebuch vom 9. Sept. 1970, in dem T. über die Zeitsituation reflektiert, heißt es auf einmal ziemlich unvermittelt: „Die einzige Errungenschaft der menschlichen Vernunft war die Erkenntnis des dialektischen Prinzips. Und wäre der Mensch konsequent und kein Selbstmörder, würde er sehr viel begreifen, wenn er sich ihrer bediente.“ (Tarkowskij, Andrej: Martyrolog – Tagebücher 1970 – 1986, Berlin 1989, S. 46)

7 Auch in der berühmten Schlusseinstellung des vorletzten Films von Tarkowskij Nostalghia (1983) gibt es eine Kirche mit offenem Dach: die Kirchenruine von San Galgano (bei Siena) und darin einen leichten, unverhofften Schneeschauer, der wie eine Zärtlichkeit des Himmels wirkt.

8

9 Vida T. Johnson, Graham Petrie, The Films of Andrei Tarkovsky A Visual Fugue, Indiana University Press 1994, S. 56

10 Klaus Kreimeier, http://www.filmzentrale.com/rezis/solariskk.htm Dieser Text ist zuerst erschienen in: Andrej Tarkowskij; Band 39 der (leider eingestellten) Reihe Film, herausgegeben in Zusammenarbeit mit der Stiftung Deutsche Kinemathek von Peter W. Jansen und Wolfram Schütte im Carl Hanser Verlag, München/Wien 1987, Zweitveröffentlichung in der filmzentrale mit freundlicher Genehmigung des Carl Hanser Verlags

11 Matyrolog, 30. Dezember 1971, S. 80

12 In „Versiegelte Zeit“ (Andrej Tarkowskij, Die versiegelte Zeit. Gedanken zur Kunst, zur Ästhetik und Poetik des Films Berlin 1996, S. 84 f.) beschreibt der Regisseur wie wichtig es war für die Ikarus-Episode, die sie in den Film einbringen wollten, diese Form zu finden: ein aus Fellen zusammengenähten Ballon.-

In Genesis heißt es, dass Adam und Eva nach der Vertreibung aus dem Paradies aus Fellen zusammengenähte Kleider trugen. (Gen 3, 21)

13 Tagebucheintrag vom 7. November 1973 in Moskau:“ Warum wollen mich denn alle in einen Heiligen verwandeln? Mein Gott! Mein Gott! Ich will nur etwas schaffen. Macht doch keinen Heiligen aus mir.“

14 . Das erinnert an das Schweigen Andrej Rubljows und auch im letzten Film Opfer muss „Jungchen“ wegen einer Halsoperation bis zum Ende des Films schweigen: Tarkowskijs Überdruss gegen das viele Gerede bei sich und anderen. – Der in dieser Szene gezeigte Zug zur Unordentlichkeit ist harmlos verglichen mit dem Hang zur Selbstherrlichkeit, den der Regisseur in diesem Film schonungslos eingesteht und damit erklärt, dass er als einziges männliches Wesen unter Frauen aufgewachsen sei.

15 Luca Blanc hat 2005 eine Abschlussarbeit an der Universität Bologna “LA FEDE NEL CINEMA”

Analisi del film STALKER di Andrej Tarkovskij geschrieben. Dabei lässt er sich vom höhnischen Ton der Unterredungen zwischen dem Schriftsteller und dem Professor anstecken und verfährt recht grob mit Andersdenkenden. Zur in Frage stehenden Szene behauptet er sehr emphatisch, dass die Szene in rotes und nicht in goldenes Licht getaucht sei. Dem kann ich nicht zustimmen. Vielleicht hat er eine minderwertige Kopie des Films gesehen oder der Entstehungsort seiner Abschlussarbeit bestimmte seine Optik: Bologna rossa…

16 Vgl. Anmerkung 4

17 Gezeichnet sind auch die Protagonisten in Tarkowskijs früheren Filmen. In Solaris hatte der Protagonist eine weiße Haarsträhne in der Stirn, was noch ein Zufall gewesen sein könnte; der Stalker hatte auf seinem kurz geschorenen Kopf einen hellen Fleck und der Protagonist in Nostalghia hat wiederum eine weiße Haarsträhne, die vom Regisseur mit einer herabschwebenden weißen Feder in Verbindung gebracht wurde. Während im Stalker die ursprünglich negative Bedeutung noch überwiegt: er scheint von Krankheit gezeichnet, geht es bei Gortschakow in Nostalghia wohl eher um eine Auszeichnung durch ein biblisches Siegel. Auch diese Zeichnung durch einen weißen Fleck hat Tarkowskij in seinem letzten Film beibehalten und präzisiert: Als Alexander daran geht sein Haus anzuzünden, hat er sich eine Art schwarzen japanischen Kimono angetan, bei dem auf dem Rücken das Yin-und-Yang-Symbol prangt. Da das schwarze Element Yin mit seiner Umgebung verschmilzt, sticht das weiße Yang-Element wie eine Flamme heraus. Gewissermaßen knüpft Tarkowskij so auch an das Motiv der Kerze aus Nostalghia an.- Man darf diese Auszeichnung wohl nicht als Exklusivität missverstehen. Im Spiegel wird der kleine bedauernswerte Kriegswaise Asafiew ausgezeichnet, indem sich ein Sperling auf seinen Kopf setzt. Das soll vermutlich heißen, das jeder persönlich gemeint ist; vgl. das Kapitel Tarkowskij und die Kunst des Westens, S. In der italienischen Ausgabe der Tagebücher wird am 1.12.1981 aus Thoreaus Walden zitiert: „Heute hat sich ein Sperling auf meine Schulter gesetzt und ich habe das als eine höhere Auszeichnung als irgendwelche Schulterklappen empfunden.“

18 Andrej Tarkovskij, Diari, Martirologio 3. Mai 1980 Tarkowskij berichtete wie er plötzlich in einer kleinen katholischen Kirche eine Kopie der Madonna von Wladimir gefunden hatte: „Unglaublich! Plötzlich findet man in einer Kirche in einem katholischen Land eine orthodoxe Ikone und das gerade zu dem Zeitpunkt, als mich bekümmerte, dass ich in Loreto nicht beten konnte. Ist das kein Wunder?“

From → Uncategorized

Kommentar verfassen

Hinterlasse einen Kommentar