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Humor, Ironie und Satire im Werk Andrej Tarkowskijs. Ein zweiter Versuch

September 29, 2014

Vida T. Johnson hat das Verdienst schon 1993 den tollkühnen Versuch unternommen zu haben, über Humor und Satire bei Tarkowskij zu schreiben.1 Bei der Gelegenheit wurde der köstliche Kommentar Susan Fleetwoods angeführt, der als Einführung und Ermutigung zur Themenwahl sehr geeignet ist. Susan Fleetwood, anerkannte Theaterschauspielerin und Schwester des englischen Popmusikers Mick Fleetwood, hatte bei Tarkowskijs letztem Film Offret (1985) die weibliche Hauptrolle. Hören wir sie selbst: „Wenn ich Leute in feierlichem Ton sagen höre: ‚Oh, Sie haben mit Andrej Tarkowskij gearbeitet’, dann kommt mir dieses freche, kleine Kerlchen in den Sinn, das die unerhörtesten Dinge machte, Gesichter schnitt und herumsprang.“2 Tarkowskij, der es offenbar in seinen Filmen ablehnte unterhaltsam zu sein, zeigte als Privatperson schon fast zwanghafte Züge eines Alleinunterhalters.

Schwer vorstellbar, dass das ganz spurlos an seinem Werk vorbeigegangen sein sollte. Jedenfalls bin ich zuversichtlich, dass eine genaue Untersuchung des Humoristischen im Werk Tarkowskijs mehr Funde zutage fördern kann als das Johnson in seinem Aufsatz gelungen ist.

In seinem ersten großen Werk, Andrej Rubljow (1966), wird einem Narren, einem „Skomorokh“ der ostslawischen, mittelalterlichen Tradition, immerhin ein eigenes Kapitel gewidmet. Drei Mönche sind bei einem Regenschauer in eine große Dorfhütte eingekehrt und werden Zeugen der derb-drastischen Darbietung des Narren. Tarkowskij zollt seinem Tun insofern Respekt, als dass er anerkennt, dass das Geschäft der David Lettermans dieser Welt harte Arbeit ist. Der Komiker ist am Ende seiner Darbietung sichtlich erschöpft. Auch zeigt T. dass es nicht genügt ein Narr zu sein, um die Lacher zu gewinnen: ein Dorfdepp macht den lahmen Versuch den Komiker zu imitieren ohne den geringsten Erfolg. Freilich weist T. in dieser Szene auch auf eine Grenze der Unterhaltungskunst hin: sie hat keine bleibende Wirkung. Eben noch hatten die versammelten Dorfbewohner ausgelassen gelacht, da versinken sie auch schon wieder in Stumpfheit und Melancholie. Der plötzliche Stimmungswechsel kann allerdings auch durch das Auftreten der Mönche verursacht worden sein. Auch für den Betrachter des Films ist die Episode kaum Gelegenheit für ausgiebige Heiterkeit. Der Skomorokh ist von Kyrill, einem der drei Mönche, der dessen Gesang als Teufelswerk sieht, bei vorbeiziehenden Schergen denunziert worden, die den Komiker mit solcher Härte behandeln, dass uns jedes Lachen vergeht. Johnsons Hinweis auf Bakhtins Begriff des Karnevalesken, des subversiven Gelächters, das von der despotischen Obrigkeit schonungslos geahndet wird, ist sicher zutreffend.3

Im gleichen Zusammenhang werden wir sozusagen en passant Zeugen einer Szene, die auch einen komischen Aspekt hat: in Morast und strömenden Regen streiten sich zwei volltrunkene Bauern. Der eine der beiden versucht sogar den anderen mit einem Baumstamm mittlerer Größe zu erschlagen. Das Straucheln und Fluchen der beiden Kontrahenten kann man erheiternd finden, aber das Ganze hat in für T. charakteristischer Weise einen erschreckenden Aspekt. Hier mag man an T.s große Bewunderung für die Kunst Charlie Chaplins erinnern. Interessant wie er benennt, was ihn bei Chaplin fasziniert: die Kunst der Übertreibung. Chaplin könne eine offensichtliche Übertreibung völlig organisch in seine Kunst integrieren.4 Etwas Ähnliches hat T. hier geleistet. Nur wer vom Alkohol benebelt ist kann auf die irrwitzige Idee kommen, einen anderen mit einem Baumstamm erschlagen zu wollen. Es ist so eine Art Groteske entstanden, die in konzentrierter Form ein wichtiges Thema des Films ein erstes Mal einführt: Streit und Hass unter Russen. Weil der Großfürst von Wladimir seinen jüngeren Bruder beim Versöhnungskuss vor dem Metropoliten gedemütigt hat, indem er ihm gleichzeitig mit Nachdruck auf den Fuß trat, verrät dieser die Stadt Wladimir an die Mongolen, und die damit einhergehenden Gräueltaten werden von T. schonungslos geschildert. Um die Sache auf die Spitze zu treiben ließ T. die beiden Brüder von demselben Schauspieler darstellen.

Halten wir noch kurz Ausschau: Wo wird im Andrej Rubljow noch gelacht? Das lässt sich sicher an einer Hand abzählen. In dem Kapitel, das von Rubljows lang anhaltender kreativer Blockade handelt, als er sich weigert die Schrecken des Jüngsten Gerichtes zu malen, sind zwei Gelächter Rubljows enthalten. Das erste hat mehr mit Zärtlichkeit als mit Humor zu tun. Wir sehen Rubljow im neckischen Spiel mit der pausbäckigen, blonden Tochter des Großfürsten. Es ist eine der wenigen Gelegenheiten, in denen der in seiner Kunst oft eher herbe Tarkowskij sich etwas von der sprichwörtlichen „slawischen Süße“ durchgehen ließ. Die aufgedrehte kleine Prinzessin bespritzt den lachenden Rubljow mit Milch. (Es ist die Zeit der Pappelblüte und die Luft ist voller Samenflusen.) Rubljow zitiert das berühmte hohe Lied der Liebe des Paulus (1 Kor 13), von dem die Kleine sicher nicht viel versteht.5 Das alles ist recht niedlich, aber man kann dessen nicht froh werden, weil sich in unmittelbarer Nachbarschaft im Film Szenen äußerster Grausamkeit abspielen.

Eine Gruppe tüchtiger Kunsthandwerker hat die Steine am Hof des Großfürsten geschmückt, aber diese Handwerker bekennen arglos, dass sie weiterziehen wollen nach Swenigorod zum jüngeren Bruder des Großfürsten, der ihnen ein lukrativeres Angebot gemacht habe. Zuvor hatte Stepan, der Hauptmann der Leibgarde des Großfürsten, gewissermaßen seine rechte Hand, einen halbwegs lächerlichen Auftritt. Ein finsterer, bärbeißiger Mann, hat er die Handwerker drohend angeschnaubt, für den Großfürsten müssten sie schon etwas Besonderes leisten. Lächerlich ist, dass er dabei einen der Prinzen, einen Rangen von vielleicht vier oder fünf Jahren, auf dem Arm trägt und dieser ihn hemmungslos ohrfeigt. Der Untergebene, dem die besondere Ehre zuteil wurde, dass er sich um den hochwohlgeborenen Nachwuchs kümmern darf, lässt das stoisch über sich ergehen, was im eklatanten Gegensatz zu seinem herrischen Auftreten gegenüber den Handwerkern steht. Nachdem die Handwerker offenbar abgezogen sind, sehen wir den Hauptmann mit einer Handvoll Soldaten vorbeigaloppieren. Anscheinend in vorauseilendem Gehorsam sind sie der Gruppe gefolgt, stellen sie im Wald bei lauschigem Vogelgesang und stechen ihnen allen die Augen aus, der eine oder andere wird sogar vollends umgebracht, einzig ein kleiner Junge bleibt verschont. Das alles wird mit schwer erträglicher Drastik vorgeführt. Es folgt ein Beispiel von Humor, das auch härtesten Männern kaum ein Lachen entlocken dürfte. Inmitten der wimmernden, am Boden kriechenden Opfer vermisst der Hauptmann seine Peitsche, eine böse Pointe. Man versteht – ein Mann in seiner Position ist ohne Knute nur eine halbe Portion: „Hat irgendwer meine Peitsche gesehen?“ Die am Boden kriechenden Männer sicher nicht…6

Das andere Lachen Rubljows in diesem Kapitel ist von eher rätselhafter Art. Andrej Rubljow, Daniel Tschornij und ihre Gehilfen sind weiterhin untätig in der eingerüsteten Kirche. Einer der Jungen wird aufgefordert aus der Bibel zu lesen. Er beginnt aus einem Paulus-Brief (1 Kor 11, 1-16) zu lesen, wo es um die Unterordnung der Frau unter den Mann geht, darum dass der Mann sein Haupt im Gottesdienst unbedeckt haben soll, die Frau aber ihr Haupt bedeckt. Dass es eine Schande sei, wenn der Mann sein Haupthaar lang wachsen lässt. Der Frau hingegen diene das lange Haar als Schleier. Kurzum, Paulus äußerte archaische Auffassungen, die man jetzt wenigstens in den großen Kirchen des Westens überwiegend wohl als zeitbedingt wertet. Nach allem, was man über Tarkowskij als Privatperson weiß, mag er allerdings mit diesen Auffassungen sympathisiert haben. Freilich lässt er sich das in diesem Film nicht anmerken. Mitten hinein in diese Lesung kommt eine junge Frau von draußen aus dem Regen in die Kirche geirrt. Sie ist offensichtlich geisteskrank und taubstumm: sie drückt eine Handvoll Stroh an sich als sei es ihr liebster Besitz, vielleicht sogar ihr Kind. Gegen Ende ihres in anderer Hinsicht wichtigen Auftritts7 kniet sie zusammengesunken in der Mitte der Maler, was Rubljow erheitert: Ohne das klar zu benennen, fühlt er sich an die Szene im Neuen Testament mit der Ehebrecherin erinnert (Joh 8,2-11). Tarkowskij durfte sicher nicht darauf hoffen, dass sein wenig bibelfestes Publikum in der damaligen Sowjetunion diese Anspielung verstehen würde. Rubljow nimmt lachend Abstand von den Vorschriften des Paulus, es sei heute ein Fest, und was redet ihr immer nur von Sünde? Das sei ja eine sonderbare Sünderin, die sie da hätten. Er geht hinaus in das regenüberglänzte Land. Sein Freund Daniil Tschornij meint geheimnisvoll, man solle Andrej in Ruhe lassen, er müsse mit seiner Sünde fertig werden.8

Es sei noch en passant eine interpretatorische Bemerkung angefügt: Die Bibel, aus der der Junge liest, ist ein gewaltiger Foliant, den er so aufgeschlagen hält, dass er die Schräge eines Balkens der Einrüstung fortsetzt. Der Regisseur hat somit eine Beziehung zwischen dem Buch und der Einrüstung hergestellt. So wie die Einrüstung etwas Vorläufiges ist, so sind die Vorschriften des Paulus etwas Vorläufiges, was nach Vollendung der Ausschmückung der Kirche, sprich: nach Anbruch des Himmelreiches, keine Bedeutung mehr haben wird. In der ihm eigenen Konzentration ist Tarkowskij ein Plädoyer für die Freiheit des Geistes und gegen die Sklaverei des Buchstabens gelungen.

Im restlichen Film Andrej Rubljow haben vor allem die Mongolen gut lachen. Über die abgründige Ironie des mongolischen Heerführers habe ich an anderer Stelle das Nötige gesagt.9 Im vorletzten Kapitel des Schwarzweißfilms, das über die Zeit von Rubljows Schweigegelöbnis berichtet, als er zu seiner bewusst gewählten Demütigung immer noch die schwachsinnige, taubstumme Frau mit sich führt, taucht mitten im bittersten Winter ein kleiner Trupp mongolischer Reiter in dem Weiler auf, wo Rubljow und die Frau sich aufhalten. Die Mongolen vergnügen sich damit, kleine Fleischstückchen unter eine Meute halbverhungerter Hunde zu werfen, die wie rasend übereinander herfallen. Der Symbolismus scheint wieder einmal dick aufgetragen und doch muss man zugeben, dass der Einfall eminent filmisch ist: es geht um Bewegung, animalische Raserei und das hat expressive Kraft.- Der Anführer des Trupps beginnt einen „Flirt“ mit der schwachsinnigen Frau, der ihn grenzenlos erheitert. Sein sonores Lachen klingt einem noch lange in den Ohren. Er bietet ihr an, eine weitere seiner Frauen zu werden. Sie ist fasziniert von seiner glänzenden Rüstung, spiegelt sich darin, darf sich seinen Helm aufsetzen, bekommt einen Umhang, springt albern und würdelos umher. Als der verbissen schweigende Rubljow versucht sie wegzuzerren, widersetzt sie sich ihm und spuckt ihn an. Die Mongolen sprengen lachend und johlend mit ihr davon.10

In diesem Kapitel taucht auch der Narr vom Beginn des Films noch einmal auf. Das Leben hat ihm übel mitgespielt. Er kann nur noch nuscheln, weil man ihm im Gefängnis die Zunge abgeschnitten hat. Er gerät außer sich vor Zorn als er in Andrej einen der Mönche erkennt, von denen er annimmt, dass sie ihn damals an die Obrigkeit verraten haben. Wegen seines sich selbst verordneten Schweigens kann Andrej sich nicht verteidigen. In seinem Zorn bemerkt der Narr nicht, dass ihm seine Hosen zu Boden gerutscht sind, was bei den zusammengekommenen Schaulustigen großes Gelächter auslöst, ein Beispiel unfreiwilliger Komik. Der kleine Mann zieht sich die Hosen hoch und imitiert das Hohnlachen seiner Zuschauer, resignativ aber auch irgendwie verständnisvoll. Man staunt über die Leidensfähigkeit dieses Menschen, der nach allem, was er mitgemacht hat, noch über sich lachen kann.

Ich kann mich nicht erinnern, dass in Solaris (1972) der Protagonist des Films, Kris Kelvin, jemals lächelt oder gar lacht. Und doch ist es dieser Film gewesen, der mich zum ersten Mal darauf gebracht hat, etwas über den Humor bei Tarkowskij zu schreiben. Ich hatte den Film aufs Geratewohl irgendwo „aufgeschlagen“, ohne die Absicht den ganzen Film zu sehen und war bei einer Aussage Snauts hängen geblieben, die plötzlich auf mich unwiderstehlich komisch wirkte. Einer seiner Kollegen habe Papierstreifen an die Ventilation der Klimaanlage gehängt. Das erinnerte sie an das Rauschen von Baumblättern auf der Erde. „Eine einfache Idee, wie alles, was wirklich genial ist.“ Das kommt so trocken, dass es mich zum Lachen reizte. Dabei spiegelt es wahrscheinlich eine wirkliche Überzeugung Tarkowskijs. Snauts Äußerungen haben überhaupt komisches Potential. Mehr als die des einfach nur zynischen Sartorius, der von Tarkowskijs bevorzugtem Schauspieler Anatolij Solonizijn gespielt wird. Mag sein, dass dieses komische Potential erst mit den Jahren mehr zu funkeln beginnt11.

Im nächsten Film Der Spiegel (1974) wird wieder gelacht, sogar gelegentlich recht ausgiebig.

An einem Punkt geht der Witz auf Kosten des Filmpublikums: In einer Rückblende sehen wir in den 30er Jahren, also mitten im Stalinismus, die Mutter, die Korrekturleserin war, durch die Räume und Gänge ihrer Druckerei hasten, weil sie fürchtet, dass ihr ein höchst peinlicher Druckfehler durchgegangen sei. Als sich diese Befürchtung als unbegründet erweist, ist die Erleichterung groß. Die Mutter lacht und flüstert das ominöse Wort ins Ohr ihrer Kollegin, die amüsiert mit den Augen rollt. Aber wir werden nie erfahren, was da so kompromittierend lustig war. Diese Pointe ist nicht so harmlos neckisch, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mag. Schließlich hieß die wichtigste Zeitung der Sowjetunion „Prawda-Wahrheit“, und wenn ein winziger Druckfehler so gefährlich werden konnte dass er auch mehr als dreißig Jahre später nicht verraten werden darf, dann zeigt das, auf wie wackeligen Füßen die Wahrheitsliebe stand.12

Kurz darauf möchte die Mutter duschen, denn sie war auf dem Weg zur Druckerei von strömendem Regen völlig durchnässt worden. Doch die Dusche beginnt sehr bald kläglich zu ächzen und versagt ihren Dienst. Das ist ein Grund für die Frau in Lachen auszubrechen. Mal ganz abgesehen davon, dass ich in einer solchen Situation eher versucht wäre, mehr oder minder leise vor mich hin zu fluchen, habe ich dieses Lachen viele Jahre lang nicht verstanden. (So viel zum Thema lange Leitung.) Erst jetzt kann ich mir einen Reim darauf machen: das Gebäude war umgeben von einem Überangebot an Wasser – es goss wie aus Kübeln. Aber offenbar war das System so funktionsuntüchtig, so undurchdringlich, dass von dem kostbaren Nass kaum etwas durchkommen konnte. Eine gewissermaßen triefende Ironie, die vielleicht eine fast religiöse Dimension hat. Gerade auch in diesem Film wird das Wasser als Lebenselement, als Element der Reinigung mystifiziert, etwa in der mysteriösen Traumszene, als die Protagonistin sich die Haare wäscht, Regen in den Raum strömt und große Stücke Putz zu Boden fallen lässt; oder kurz zuvor, als beim Anblick des brennenden Schobers auch schon Regen fällt. Wenn dieses Lebenselement fehlt, fehlt etwas Wesentliches. Nun darf man allerdings als jemand aus dem Westen sich nicht zu früh darüber freuen wie hier der Sowjetunion heimgeleuchtet wird. Einige Jahre später hat Tarkowskij in seinem ersten im Westen gedrehten Film Nostalghia (1983) in einer bekannten Einstellung, die das Zimmer des Russen Gortschakow im Hotel zeigt, gleichfalls einen Gegensatz von strömendem Wasser einerseits und Stagnation andererseits realisiert: Links vom Bettgestell ein Fenster, das auf einen tristen Hof hinausgeht, man sieht nur auf eine fensterlose Mauer. Das Fenster wird von Gortschakow mit seinen Läden geschlossen. Dahinter hebt bald nach der Ankunft Gortschakows das einschläfernde Rauschen strömenden Regens an: der Auftakt einer ersten geheimnisvollen Traumsequenz. Rechts vom Bett blicken wir in ein hell erleuchtetes Bad, mit einem modernen, weißen, runden Spiegel, der wohl eine Plastikfassung hat. Gortschakow füllt sich beim Hereinkommen ein Glas, um seine Medizin einzunehmen und wir hören vom Waschbecken das gluckernde Geräusch der Stagnation. Hier steht die Stagnation für den Westen und das rauschende Wasser eher für Russland. (Später in Nostalghia wird eine Tirade der italienischen Übersetzerin Eugenia von diesem Gluckern, dem Geräusch der Stagnation begleitet.)

Im Spiegel kommt es noch einmal zu Gelächter: Tarkowskijs erste Frau amüsiert sich über einen Spanier, der von einem berühmten Stierkämpfer erzählt, nein, ihn vorführt, wobei ein Stuhl die Rolle des zu tötenden Stieres bekommt. Die ganze Episode, die sich mit der Anwesenheit spanischer Emigranten in Russland befasst, mit ihrer Flucht am Ende des Bürgerkrieges nach dem Sieg Francos, ist sehr komplex komponiert und hat eine starke emotionale Gewalt: die Abschiedsszenen, ein eindrucksvolles Stück Dokumentarfilm, und der leidenschaftliche Gesang, der das untermalt. Wenn Tarkowskij den Eindruck erweckt, sich zu belustigen, so ist das sicher irreführend. In seiner Kunst kann er keine direkten Komplimente machen, während er als Schriftsteller seine Bewunderung für die spanische Kultur unverhohlen bekennt.13

Auch das Porträt, das er in Nostalghia von Italien zeichnet, war für Italiener sicher sehr gewöhnungsbedürftig. Die zunächst reservierte Aufnahme des Films in Italien hatte sicher damit zu tun, dass viele Italiener ihr „bel paese“ darin nicht wieder erkannten. Dabei war es ganz klar, dass Italien das westeuropäische Land war, in dem Tarkowskij sich am ehesten zu Hause fühlen konnte. Tarkowskij ist stark von der spanischen Leidenschaftlichkeit angesprochen, aber die Rückhaltlosigkeit, mit der sie sich ausdrückte, war ihm etwas fremd. In seinem Tagebuch schrieb er einmal bei Erwähnung einer Beerdigung, dass es ihn immer konsterniere, wenn Menschen offen ihre Gefühle zeigten.14

Die von Johnson noch genannten Beispiele für Ironie im Spiegel kommen aus den bösen Wortwechseln zwischen Tarkowskij und seiner ersten Frau, mit der die Beziehung bereits völlig zerrüttet ist, und sind beißender Spott. Als sie sagt, ihr neuer Partner sei Schriftsteller, fragt er ätzend: Heißt er vielleicht Dostoyewskij? Auch die abfällige Bemerkung über ihren Sohn, dem bestimmt kein Engel im Feuer erschienen sei, gehört zu dieser Art kaustischer Kommentare. Viel zu lachen gibt es da nicht.

Johnson erwähnt dann Einzelheiten aus den Dialogen im Stalker (1979), die nihilistischen Reden des Schriftstellers, wenn er etwa die Schriftstellerei mit dem Auspressen von Hämorrhoiden vergleicht und ähnliches mehr. Es geht wohl hauptsächlich darum die Bedenken des Publikums zu zerstreuen, das bei Tarkowskij argwöhnte, er ziele ins Weihevolle, Elitäre. Zum anderen war da wohl auch die im Film vom Stalker geäußerte Überzeugung, dass die „Zone“ besonders für die Hoffnungslosesten der richtige Ort sei.

Der Schriftsteller ist mit einer glamourösen Schönen und ihrem Sportwagen zum Ort der Verabredung erschienen und wir hören wenige Worte ihrs small talks über das Bermudadreieck. Als der Stalker dieser Frau ohne Umschweife und nicht eben gentlemanlike bedeutet, sie solle verschwinden, zischt sie den Schriftsteller an: „Kretin!“ und prescht mit dem Sportwagen davon. Der auf dem Auto abgelegte Hut des Schriftstellers wird von dem Wagen davongetragen. Dieser Hut ist wie eine Pointe, der wir für immer nachjagen, die wir aber nie erreichen…

In Nostalghia gibt es eine Szene, die ganz von Ironie durchtränkt ist, ohne dass es in einer Pointe explizit wird. Tarkowskij schrieb einmal von der besonderen Stimmigkeit des absurden Theaters15 und die Salongespräche dreier Herren und einer Dame im mittelalterlichen Thermalbad von Bagno Vignoni haben etwas von absurder Komik. Von Nebelschwaden umgeben, das warme Wasser bis zum Hals, haben sie sich offenbar für einen längeren Aufenthalt eingerichtet. Die Frau trägt einen Turban und scheint im Übrigen bekleidet, einer der Herren trägt einen Hut. Auf einem Brettchen hält man ein Feuerzeug trocken. Es werden inmitten der dichten Nebelschwaden Zigarren geraucht. Ihrem Gespräch entnehmen wir, dass ein gewisser Domenico offenbar verrückt geworden sei, weil er in der Erwartung des Weltendes seine Familie sieben Jahre eingeschlossen habe. Eine kleine Pointe, die an der italienischen Sprache hängt, liegt darin, dass ausgerechnet der glatzköpfige General sagt, man habe es mit dem nackten Auge, „a occhio nudo“, sehen können, dass dieser Domenico irre ist. Domenico geht am Rand des Beckens mit seinem Schäferhund entlang und unterhält sich mit ihm: „Sie wollen ewig leben.“ ist sein Kommentar zu den Menschen im warmen Becken. Er ist bekümmert über ihr Gerede, meint dann aber, man solle dennoch gut zuhören, denn man könne immer etwas lernen.

Der Russe drängt die Dolmetscherin mit dem angeblich verrückten Domenico Kontakt aufzunehmen. Der wohnt in einem verlassenen Fabrikgebäude. Davor sehen wir den Italiener auf einem stillstehenden Fahrrad radeln – so wie auf einem Hometrainer. Eugenia spricht ihn an, aber er radelt unbeirrt weiter. Mag sein, dass ein Lied des russischen Liedermachers Wladimir Wyssotskij den Regisseur hier inspiriert hat. Wyssotskij hat 1968 in Russland ein sehr bekannt gewordenes Lied „Morgen-Sport“ veröffentlicht, das in verschiedene auch westeuropäische Sprachen übersetzt worden ist. Darin spottet der im Alter von nur 42 Jahren aufgrund von unmäßigem Alkohol- und Drogenkonsum frühzeitig verstorbene Barde über die Leute, die, auf der Stelle tretend, Freiübungen machen, weil sie eben „ewig leben“ wollen. Tarkowskij verleiht hier dem von Domenico über die Badegäste Gesagten polemischen Nachdruck. Wie der Hamster im Drehrad ist der Mann, der auf dem stehenden Rad in die Pedale tritt, ein Bild für aktionistischen Leerlauf.

Dem Schriftsteller Gortschakow wird in seinem Hotelzimmer von der Dolmetscherin eine fürchterliche Szene gemacht. Eine ältere Dame, die mit ihrem Hund im Treppenhaus vorbeikommt, sieht den Russen aus dem Zimmer flüchten und die Frau, die ihm nachschreit. In diesem Moment hört man von oben die monotonen Gesänge der chinesischen Musik des Generals. Die Dame ruft entrüstet aus, sie werde es trotz allem länger in diesem Haus aushalten, als die anderen. Das entbehrt nicht einer gewissen Komik und scheint auf Kosten der chinesischen Musik zu gehen. In der Tat wirkt sie im italienischen Kontext so fremd und so exotisch, dass sie die Atmosphäre des Absurden, die die Szene im Thermalbad bestimmte, wieder aufgreift. Diese Musik bildet den Hintergrund für den Brief des russischen Komponisten Sosnofskij, auf dessen Spuren Gortschakow reist. Der Brief wird nun aus dem Off verlesen, während wir die zur Abreise bereite Übersetzerin Eugenia bei seiner Lektüre sehen. In eindringlichen Worten wird die Erfahrung völliger Fremdheit des Russen in Italien beschrieben. Die Fremdheit der chinesischen Musik untermalt das. In Hinblick auf die chinesische Musik gilt ähnliches wie wir bereits bei Tarkowskijs Verhältnis zur spanischen Kultur festgestellt haben: die offenkundige Ironie soll eine wirkliche Faszination verbergen. Am Ende seines wiederholt zitierten Buches bekennt Tarkowskij rückhaltlose Bewunderung für alte chinesische Musik in Worten, die durchaus an die Äußerungen des Generals im Thermalbad erinnern.16

In einer versumpften Kirchenruine hat der angetrunkene Gortschakow ein Gespräch mit der kleinen Angela, was ein Beispiel asymmetrischer Kommunikation ist. Er macht dabei eine Aussage, die sich vielleicht auf den Humor oder die Ironie übertragen lässt. „Die Gefühle, die man nicht ausspricht, vergisst man nicht.“ Das gilt etwa für die Szene im Thermalbad. Wenn man die unterschwellige Ironie dabei wahrgenommen hat, hinterlässt das einen bleibenden Eindruck. Das andere Extrem lässt sich in gewissen Artikeln des angelsächsischen Journalismus sehen, wo es quasi de rigueur ist, witzig zu sein und man bei der Lektüre die ganze Zeit vergnügt vor sich hin kichert, aber am Ende des Artikels oft schon nicht mehr weiß, was da so lustig war. In dem Gespräch mit Angela erzählt Gortschakow sogar einen russischen Witz, wobei er aber so wenig Hoffnung zu haben scheint, verstanden zu werden, dass er ihn gleich auf Russisch erzählt. Ein Mann liegt am Rand eines Sumpftümpels. Ein anderer kommt, um ihn unter Aufbietung all seiner Kraft aus dieser misslichen Situation zu befreien. Der „Gerettete“ schreit dann den schwer keuchenden „Retter“ an: „Warum machst du das? Ich lebe da!“ Der stark angeheiterte Gortschakow fügt als Erklärung grinsend hinzu: „Er war sehr gekränkt.“ Hier wird an ein russisches Inferioritätsgefühl hinsichtlich ihrer Zivilisation gerührt, das man sonst diskret verschweigt.

Johnson sieht in der Szene am Ende des Films, in der Domenico sich vor einer fühllosen und tatenlosen Menge auf der Piazza del Campidoglio in Rom den Flammentod gibt, slapstickhafte Elemente.17 Ich habe von dieser eher dramatischen Szene eine insgesamt andere Interpretation, wie ich noch Gelegenheit haben werde auszuführen. Allerdings kommt auch hier in minimalen Details der Schalk des Regisseurs zum Vorschein. Eugenia sagt Gortschakow am Telefon, Domenico halte in Rom endlose Reden „wie Fidel Castro!“ Ein amüsanter Hinweis für alle, die nicht wussten, dass Fidel Castro in seinen besten Zeiten bis zu zwölf Stunden lang reden konnte.- Es handelt sich auf dem Kapitolsplatz um eine Demonstration von Geisteskranken. Spruchbänder und Plakate sind zu sehen. Auf einem steht: Domattina è la fine del mondo – Morgen früh ist das Ende der Welt! Das ‚o‘ vom letzten Wort ‚mondo‘ geht, in die Enge getrieben, am Rand des Plakats hoch – im Italienischen gibt es den schönen stehenden Ausdruck für jemanden, der wenig überzeugende Argumentationen anführt: „si arrampica sui vetri“ „Er versucht an den Fensterscheiben hochzuklettern.“

In Tarkowskijs letztem Film Opfer ist Humor wiederum karg gesät. Jungchen spielt dem etwas bajazzohaften Briefträger Otto einen Streich, der in gespielter Wut in die Luft springt, aber das alles ist auch mehr tiefgründig als komisch. Otto macht nebenbei einen drastischen Kommentar, warum er nicht raucht: er habe mal die Lunge eines Rauchers im Leichenschauhaus gesehen. (Übrigens lässt sich Domenico in Nostalghia einmal eine Zigarette geben, „weil er nicht raucht.“) Doch abgesehen von dieser Randbemerkung zu Tarkowskijs altem Laster gibt es wenig Lustiges zu berichten. (War er nicht ein Kettenraucher von russischen Zigaretten, die kein Pardon gaben?) Als Otto dem Protagonisten Alexander in der Nacht unendlich umständlich und geheimnisvoll zuflüstert, er solle mit der Dienerin Maria schlafen, muss der über dieses Ansinnen lachen. Sonst lacht er kaum. Wenn ein Glückwunschtelegramm zu Alexanders Geburtstag unterschrieben ist mit: „Deine Richardianer und Idiotisten“, so ist das mehr rätselhaft als lustig.

Freilich entbehrt die lange Szene vor dem niederbrennenden Haus nicht komischer Elemente. Da ist Johnson zuzustimmen.18 Wir sehen das kopflose hin und her Rennen von Alexander und seinen Lieben aus der Ferne. Sie wollen ihn einfangen, um ihn in den flugs eingetroffenen Krankenwagen zu packen. Einerseits kann man bemäkeln, dass der Krankenwagen so schnell zur Stelle ist, andererseits wird damit ein Topos des Komischen aufgerufen: „They are coming to take me away, ha ha!“ hieß ein immer noch populärer Songtitel aus den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Während das Haus schon brennt, hört man drinnen lange das Telefon klingeln; vielleicht sollte das als Erklärung dienen. Vielleicht war das nächstliegende Hospital schon lange alarmiert, weil man wusste, dass Tarkowskij auf Gotland einen Film drehte…

1 Johnson, Vida T. Laughter beyond the mirror: humor and satire in the cinema of Andrei Tarkovsky, in: Horton Andrew (ed.) Inside Soviet film satire: laughter with a lash, Cambridge; New York: Cambridge University Press 1993, pp.98-104

2 Johnson, Vida T. Laughter beyond the mirror, p.98: “When I hear people say in solemn tones, ‘ Oh, you worked with Andrei Tarkovsky’, I remember this cheeky little chappie who was doing the most outrageous things, pulling faces and gamboling around” (interview 1988)

3 ibidem. p. 101

4 Andrej Tarkowskij, Die versiegelte Zeit, p. 160 s.

5 Hier ist ein erstes Mal eine asymmetrische Kommunikationssituation dargestellt, die auch in späteren Filmen wiederkehrt. In Nostalghia spricht Gortschakow mit der kleinen Angela und vor allem in Offret Alexander mit „Jungchen“. In einem Interview sagte Tarkowskijs Sohn, Andrej jr., einmal, dass er sich an viele solche Situationen erinnerte, in denen der Vater ihm Vorträge hielt, von denen er wenig verstanden hat.

6 Tarkowskijs Tendenz zur Synthese, zum Konzentrieren führt dazu, dass er für den Geschmack einiger Leute etwas zu dick aufträgt: Muss der Hauptmann ausgerechnet seine Knute verlieren? – Eine psychologisierende Erklärung für die Drastik dieser Szene wäre auch möglich. Für stark visuell begabte Menschen ist die Furcht zu erblinden eine quälende Urangst. Tarkowskij hat hier diese Angst bei den Hörnern gepackt.- Man denke an das furchtbare Bild Rembrandts, das der dreißigjährige Maler von der Blendung Simsons gemalt hat (Rembrandt van Rijn, Blendung Simsons, 1636, Öl auf Leinwand, 205×272 cm, Städel, Frankfurt a.M.)

7 In meinem Aufsatz über Tarkowskij und die Kunst des Westens habe ich das ausführlich interpretiert.

8 Im früheren Kapitel über das heidnische Fest in der Sommernacht war es streng genommen offen geblieben, ob Rubljow sich von der nackten Frau hat verführen lassen, oder ob er der Versuchung widerstanden hat. Jedenfalls hat er erst in den Morgenstunden zu seiner Gruppe zurückgefunden.

9 In meinem Aufsatz Tarkowskij und die Kunst der Ikonen, p.

10 Diese Mongolen lässt T. ihre Muttersprache sprechen, so wie die Gesandten aus Venedig in dem Kapitel über den Glockenguss miteinander Italienisch sprechen. Robert Bird hat sich die Mühe gemacht, die Turksprache zu übersetzen: aus den Rufen der Mongolen geht hervor, dass sie die Frau auf der Straße vor dem Weiler zurücklassen wollen.

11 Zum Zeitpunkt der Verfassung dieses Aufsatzes war das eine „prophetische“ Ahnung. Bei der späteren Arbeit zu Tarkowskij und die Deutschen bin ich tatsächlich noch fündig geworden, eine hier begrabene, von Snaut erwähnte allbekannte Luther-Legende entpuppte sich fast als Jahrtausendwitz.

12 Auch Johnson und Petrie deuten diese Szene im gleichen Sinne. Vida T. Johnson, Graham Petrie, The Films of Andrei Tarkovsky A Visual Fugue, Indiana University Press 1994 „The fact that even in the seventies, the verbal slip could not be openly identified is part of the meaning of the scene.“ S. 131

13 Andrej Tarkovskij, Die versiegelte Zeit, a.a.O., S.55

14 Andrej Tarkowskij, Tagebücher, 14. September 1972

15 Andrej Tarkowskij schreibt davon am 4. Februar 1974

16 A. Tarkowskij, Die versiegelte Zeit, op. cit. p. 241. Es ist mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass der Autor mit der Ironie seine wahren Gefühle verschleiert. Während die Bewunderung für die japanische Kultur schon lange feststand (die Haikus des Basho, die Filme Mizoguchis und Kurosawas) musste er im Fall der chinesischen Kultur eine tief sitzende Furcht überwinden, wie sie in dem Film Der Spiegel noch deutlich zu spüren ist.

17 Johnson, Vida T. a.a.O., S. 102

18 ebenda

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